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I swear, I was there
Neringa Vasil
iauskaitė

Opening

Saturday 20.5.2023

2pm to 6pm
 

neringa final.jpg

„To say that nothing is sacred is to say that nothing is supernatural.”[1]

 

Wie Laboria Cuboniks und Helen Hester in The Xenofeminist Manifesto: A Politics for Alienation schreiben, haben wir unseren Standpunkt mit der technisierten Wissenschaft festgelegt, der nichts so heilig ist, dass es nicht neu erschaffen oder umgewandelt werden könne. Nichts ist so heilig, dass es vor dem Drang nach Wissen, dem Drang es zu erforschen geschützt wäre. Folglich existiere nichts Übernatürliches, dass nicht im Sinne der Wissenschaft transformiert werden könne. Der Begriff ‚Natur‘ steht hierbei stellvertretend für das weite Spielfeld der Wissenschaft, in dem alles vorhanden ist und alles möglich ist.[2]

Die Arbeit von Neringa Vasiliauskaitė untersuchen diesen Aspekt der Transformation von verschiedenen Aggregatszuständen, Zeitsträngen und damit verbundenen Emotionen und Bedeutungen. Ähnlich wie in der Wissenschaft ist in der Kunst als Übersetzungsmedium der Gedanken in die Materialität alles möglich.

 

Die Rauminstallation besteht aus zwei großformatigen Wandarbeiten changing states (1) und (2) und einer textilen Bodenarbeit - einem Teppich. Die beiden hängenden Arbeiten aus mit Marmor- und Steinoptik bedrucktem Textil auf gepolstertem Untergrund, begossen mit Silikon und einem aus geschnitztem Holz bestehenden Rahmen lassen die Abgrenzung und Bedeutung zwischen Bild und Rahmung, zwischen Innen und Außen verschwimmen. Die Umrandung ist die Narration, die innenliegende Fläche dient ihr als Untergrund. Die matten Oberflächen erinnern an Stein, an Haut, oder ähneln einem Spiegel, der nicht reflektiert. Alle Elemente der beiden Arbeiten sind durch eine Kette verschiedener transformativer Zustände miteinander verbunden. Es geschieht eine Verschiebung der Konventionen, eine Umkehrung von Beschaffenheit, die zu einer Reflexion über Oberfläche, Haptik und die Kraft erinneter Bilder anregt.

Wie der Psychoanalytiker Didier Anzieu in seiner theoretischen Abhandlung Das Haut-Ich schreibt, ist die Funktion der Haut eine lebendige Grenze zwischen dem Inneren des Körpers und der äußeren Welt. Dabei betont er die Bedeutung der Haptik, die durch Berührung und Empfindungen über die Haut Erinnerungen hervorrufen können. Darauf basiert das Konzept der Verschmelzung von Kindheit und Erwachsenenalter über die Haut, die als Ort fungiert, an dem frühe Erfahrungen und emotionale Verbindungen gespeichert sind. In Neringa Vasiliauskaitės raumbezogener Installation verschwimmt die Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, die Grenze zwischen verschiedenen Zeiten anhand ihrer sensorischen und emotionalen Reize.

 

Die beiden fast gegenüber voneinander platzierten Wandarbeiten eröffnet ein Spannungsfeld. Dazwischen befindet sich die textile Bodenarbeit - ein Teppich, auf dem eine snake chain, eine symbolisierte Schlange auf grell gelben Schwefelsteinen platziert ist. Sie verkörpert durch ihre wiederholten Häutungsprozesse den Zustand der Transformation und ist zugleich faszinierend wie beunruhigend. Die Schlange zieht sich in ihrer Symbolik durch alle drei Arbeiten der Installation. Sie kehrt in den beiden Wandarbeiten als sich schlängelnde Zweige von Rosensträuchern wieder und ziert den Titel der Ausstellung als Stütze einer der beiden Arbeiten: I swear, I was there nimmt Bezug auf die Verhandlung der Trennung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Körperlichem, Haptischem und Digitalem. Die digitale Kommunikation hat zu einem veränderten Selbstverständnis beigetragen und verändert die Abgrenzung zwischen Körper und der äußeren Welt. I swear, I was there ist eine Aufforderung, die feine Trennlinie zwischen Innen und Außen zu erkunden und das Verständnis von Identität und die Beziehung zur digitalen Welt zu reflektieren und eine neue Sensibilität für die Bedeutung von Körperlichkeit und Erinnerungen in einer zunehmend vernetzten Gesellschaft zu entwickeln.

 

[1] The Xenofeminist Manifesto: A Politics for Alienation by Laboria Cuboniks, p. 64

 

[2] The Xenofeminist Manifesto: A Politics for Alienation by Laboria Cuboniks, p. 65

species loneliness
Cla
udia Starkloff

 

Treibhaus III, 2022 

180 x 200 X 310 cm 

Gewächshaus, Folie, Lichtpaneele, Erde (aus dem Garten mit Kieselsteinen, Wurzelwerk, Asseln, Würmern, Ameisen, etc.), Pflastersteine (aus dem Hof mit Moos und Gräsern), Sonnenblumen, Pflanztöpfe, Bambusstangen, Kabel, Pflasterplatten, Zeitschaltuhr, Stromzähler, Performance 

 

 

“Instead of this speculative philosophy taught in the school, we may thus discover a practical philosophy whereby we could know the force and action of (…) all the bodies in our environment (…) so as to make ourselves as it were the masters and professors of nature.” 

René Descartes, Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences (Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung), 1637 

 

Der Philosoph René Descartes verwies bereits 1637 darauf, dass statt der in Schulen gelehrten spekulativen Philosophie ein praktischer Ansatz zur Erforschung der Natur und dem Zusammenwirken ihrer Lebewesen sinnvoll wären. Widersprüchlich dazu hat der Mensch die Welt im Sinne des Anthropozentrismus unter der Ausbreitung technologischer Vorteile geformt. Bäume, Vieh, Land - alles wurde gemäß einem kapitalistischen Mehrwert unter Kontrolle gebracht, ohne dabei auf das natürliche System und Gleichgewicht zu achten. In Folge steht die Erde an einem ökologischen Kipp- und Wendepunkt und die Menschheit ist 500 Jahre nach Descartes damit konfrontiert in einem praktischen Sinne mit der Natur kooperieren und koexistieren zu müssen.

Diese Handlungsweise hat nicht nur zu einem Ungleichgewicht in ökologischen Systemen geführt, sondern auch zu einer allgemeinen Vereinsamung der Arten, die neben Flora und Fauna auch den Menschen betrifft. Philosophen nennen diesen Zustand der Isolation und des Getrenntseins Species Loneliness - eine tiefe, unbenannte Traurigkeit, die von der Entfremdung vom Rest der Welt und dem Verlust von Beziehungen herrührt.

Die Philosophin und Autorin von Braiding Sweetgrass – Indeginous Wisdom, Scientific Knowledge and the Teaching of Plants, Robin Wall Kimmerer beschreibt die Art und Weise, wie wir Menschen Beziehungen nicht nur untereinander aufbauen, sondern auch mit der lebendigen Welt, indem wir ihnen Namen geben. Ebenso schaffen wir uns ein zu Hause, in dem wir damit beginnen mit unserer Umgebung Verbindungen aufzubauen, um zu Koexistieren.

 

Mit dem Titel species loneliness stellt die Ausstellung den Aspekt der Vereinsamung von Lebewesen durch zeitgenössische Lebens- und Kultivierungsformen in den Fokus. Die Künstlerin Claudia Starkloff hat bereits in einer früheren Arbeit von 2017 mit einem Gewächshaus gearbeitet, um für sich selbst einen Raum des Rückzugs und der Isolation von der Außenwelt zu schaffen. Das Alleinsein ist dabei eine Form des Seins, die weder eindeutig negativ noch positiv konnotiert ist. Es ist ein Daseinszustand, der durch seine Isolation meditative Ruhe, aber auch melancholische Einsamkeit bedeuten kann.  

In ihrer aktuellen Arbeit wird das Gewächshaus zu einem Treibhaus, in dem die Sonnenblume in einem abgeschlossenen System zu einem gerade wachsenden, artifiziellen Objekt wird. Durch die alleinige Anwesenheit der Pflanze, außerhalb eines intakten natürlichen Ökosystems, das sich selbst reguliert, ist sie auf die Pflege der Künstlerin angewiesen.

 

Treibhaus III thematisiert den Aspekt der Einsamkeit in einem abgeschlossenen System, in einer Symbiose aus einer lebendigen künstlerischen Arbeit und einer sich wiederholenden Performance der Pflege.

Das Gewächshaus besteht aus einem Grundgerüst aus Metallstangen, einer es umgebenden Folie aus Plastik, Erde und Pflastersteinen aus der Umgebung, sowie einer elektrischen Anlage aus Lichtpaneelen und einer Zeitschaltuhr. Im Gewächshaus wachsen Sonnenblumen unterschiedlicher Sorten. Durch das künstliche Licht, das in einem regelmäßigen Rhythmus an- und ausgeht, wachsen die Pflanzen nicht wie gewohnt mit der Bewegung der Sonne, nach der sie ihren Blütenkopf und ihre Blätter ausrichten. Stattdessen wachsen sie stur, senkrecht nach oben, dem Licht der Decke entgegen. Dieser Prozess verfremdet sie. Er macht die sonst so freundliche Pflanze zu einem artifiziellen Objekt, das seinen Blütenkopf abweisend gegen die Decke des Gewächshauses drückt, der sich dem Betrachter entzieht, sobald die Pflanze eine gewisse Größe erreicht hat.

Durch das abgeschlossene System des Gewächshaues ist die Pflanze von ihrer natürlichen Umgebung isoliert. Es besteht keine Möglichkeit eine Symbiose mit anderen Lebewesen einzugehen und sich in ein natürlich reguliertes Ökosystem einzugliedern, das sich selbst bewahrt.

Dieser Umstand erfordert eine regelmäßige Pflege durch den Menschen. Die Künstlerin ist jede Woche für einen ganzen Tag in der Ausstellung, um die Pflanzen zu bewässern und zu bestäuben, die Erde zu jäten, die tiefwurzelnden Sonnenblumen in tiefere Töpfe umzutopfen, zusätzliche Pflanzen auszusäen, eine möglich Schädlingsbildung zu beobachten und den Zyklus des Lichts zu überprüfen. Die Performance greift den Rhythmus des Gewächshauses auf, indem sie in einem immer wiederkehrenden, konstanten zeitlichen Ablauf die benötigte Pflege des abgeschlossenen Systems des Treibhauses gewährleistet. Sie wird durch die zyklische Wiederholung des sich Kümmerns zu einem Ritual, welches im Sinne ökofeministischer Theorien den weiblichen Aspekt der Fürsorge und deren Übertragung in die Natur und Umwelt aufgreift.

 

Die immersive künstlerische Arbeit Treibhaus III von Claudia Starkloff reflektiert das Verhältnis und den Umgang des Menschen mit der Natur. Sie schafft ein Bewusstsein für die emotionale Entfernung zu unserem natürlichen Lebensraum und den Folgen, die dieser Zustand auf beiden Seiten auslöst. Sie lädt im Sinne Descartes dazu ein das künstlerische Werk praktisch zu erkunden, um neue Verbindungen aufzubauen und kollektiv zu verstehen.

 

Kuratiert von Manuela Hillmann

 

 

Claudia Starkloff (geb. 1987 in München) ist ausgebildete Holzbildhauerin und studierte von 2012 bis 2020 Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in München, zunächst bei Prof. Stefan Huber, ab 2018 bei Prof. Alexandra Bircken. Ihr Diplom machte sie 2020 mit der Arbeit Treibhaus I, der ersten von bislang drei Ausführungen eines bepflanzten Gewächshauses.

Die Künstlerin schöpft ihre Inspiration und ihre Themen direkt aus der Natur und ihrer eigenen Umgebung. 2020 zog sie von München auf einen Vierkanthof in Niederbayern, wo sie seitdem mit ihrer Familie lebt und künstlerisch tätig ist. An diesem Ort verwachsen das Anbauen, die Pflege, das Ernten und das Zubereiten eigener Lebensmittel, die Fürsorge für die Lebewesen auf dem Hof und die eigene Familie, sowie die künstlerische Praxis ineinander. Die Grenze zwischen künstlerischem Schaffen und alltäglichem Leben löst sich in einer Synergie auf und äußert sich im ehrlichen, unverfremdeten und unmittelbaren Werk der Künstlerin.

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