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species loneliness
Cla
udia Starkloff

Finissage

Saturday 4.3.2023

9am to 4pm
 

Treibhaus III, 2022 

180 x 200 X 310 cm 

Gewächshaus, Folie, Lichtpaneele, Erde (aus dem Garten mit Kieselsteinen, Wurzelwerk, Asseln, Würmern, Ameisen, etc.), Pflastersteine (aus dem Hof mit Moos und Gräsern), Sonnenblumen, Pflanztöpfe, Bambusstangen, Kabel, Pflasterplatten, Zeitschaltuhr, Stromzähler, Performance 

 

 

“Instead of this speculative philosophy taught in the school, we may thus discover a practical philosophy whereby we could know the force and action of (…) all the bodies in our environment (…) so as to make ourselves as it were the masters and professors of nature.” 

René Descartes, Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences (Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung), 1637 

 

Der Philosoph René Descartes verwies bereits 1637 darauf, dass statt der in Schulen gelehrten spekulativen Philosophie ein praktischer Ansatz zur Erforschung der Natur und dem Zusammenwirken ihrer Lebewesen sinnvoll wären. Widersprüchlich dazu hat der Mensch die Welt im Sinne des Anthropozentrismus unter der Ausbreitung technologischer Vorteile geformt. Bäume, Vieh, Land - alles wurde gemäß einem kapitalistischen Mehrwert unter Kontrolle gebracht, ohne dabei auf das natürliche System und Gleichgewicht zu achten. In Folge steht die Erde an einem ökologischen Kipp- und Wendepunkt und die Menschheit ist 500 Jahre nach Descartes damit konfrontiert in einem praktischen Sinne mit der Natur kooperieren und koexistieren zu müssen.

Diese Handlungsweise hat nicht nur zu einem Ungleichgewicht in ökologischen Systemen geführt, sondern auch zu einer allgemeinen Vereinsamung der Arten, die neben Flora und Fauna auch den Menschen betrifft. Philosophen nennen diesen Zustand der Isolation und des Getrenntseins Species Loneliness - eine tiefe, unbenannte Traurigkeit, die von der Entfremdung vom Rest der Welt und dem Verlust von Beziehungen herrührt.

Die Philosophin und Autorin von Braiding Sweetgrass – Indeginous Wisdom, Scientific Knowledge and the Teaching of Plants, Robin Wall Kimmerer beschreibt die Art und Weise, wie wir Menschen Beziehungen nicht nur untereinander aufbauen, sondern auch mit der lebendigen Welt, indem wir ihnen Namen geben. Ebenso schaffen wir uns ein zu Hause, in dem wir damit beginnen mit unserer Umgebung Verbindungen aufzubauen, um zu Koexistieren.

 

Mit dem Titel species loneliness stellt die Ausstellung den Aspekt der Vereinsamung von Lebewesen durch zeitgenössische Lebens- und Kultivierungsformen in den Fokus. Die Künstlerin Claudia Starkloff hat bereits in einer früheren Arbeit von 2017 mit einem Gewächshaus gearbeitet, um für sich selbst einen Raum des Rückzugs und der Isolation von der Außenwelt zu schaffen. Das Alleinsein ist dabei eine Form des Seins, die weder eindeutig negativ noch positiv konnotiert ist. Es ist ein Daseinszustand, der durch seine Isolation meditative Ruhe, aber auch melancholische Einsamkeit bedeuten kann.  

In ihrer aktuellen Arbeit wird das Gewächshaus zu einem Treibhaus, in dem die Sonnenblume in einem abgeschlossenen System zu einem gerade wachsenden, artifiziellen Objekt wird. Durch die alleinige Anwesenheit der Pflanze, außerhalb eines intakten natürlichen Ökosystems, das sich selbst reguliert, ist sie auf die Pflege der Künstlerin angewiesen.

 

Treibhaus III thematisiert den Aspekt der Einsamkeit in einem abgeschlossenen System, in einer Symbiose aus einer lebendigen künstlerischen Arbeit und einer sich wiederholenden Performance der Pflege.

Das Gewächshaus besteht aus einem Grundgerüst aus Metallstangen, einer es umgebenden Folie aus Plastik, Erde und Pflastersteinen aus der Umgebung, sowie einer elektrischen Anlage aus Lichtpaneelen und einer Zeitschaltuhr. Im Gewächshaus wachsen Sonnenblumen unterschiedlicher Sorten. Durch das künstliche Licht, das in einem regelmäßigen Rhythmus an- und ausgeht, wachsen die Pflanzen nicht wie gewohnt mit der Bewegung der Sonne, nach der sie ihren Blütenkopf und ihre Blätter ausrichten. Stattdessen wachsen sie stur, senkrecht nach oben, dem Licht der Decke entgegen. Dieser Prozess verfremdet sie. Er macht die sonst so freundliche Pflanze zu einem artifiziellen Objekt, das seinen Blütenkopf abweisend gegen die Decke des Gewächshauses drückt, der sich dem Betrachter entzieht, sobald die Pflanze eine gewisse Größe erreicht hat.

Durch das abgeschlossene System des Gewächshaues ist die Pflanze von ihrer natürlichen Umgebung isoliert. Es besteht keine Möglichkeit eine Symbiose mit anderen Lebewesen einzugehen und sich in ein natürlich reguliertes Ökosystem einzugliedern, das sich selbst bewahrt.

Dieser Umstand erfordert eine regelmäßige Pflege durch den Menschen. Die Künstlerin ist jede Woche für einen ganzen Tag in der Ausstellung, um die Pflanzen zu bewässern und zu bestäuben, die Erde zu jäten, die tiefwurzelnden Sonnenblumen in tiefere Töpfe umzutopfen, zusätzliche Pflanzen auszusäen, eine möglich Schädlingsbildung zu beobachten und den Zyklus des Lichts zu überprüfen. Die Performance greift den Rhythmus des Gewächshauses auf, indem sie in einem immer wiederkehrenden, konstanten zeitlichen Ablauf die benötigte Pflege des abgeschlossenen Systems des Treibhauses gewährleistet. Sie wird durch die zyklische Wiederholung des sich Kümmerns zu einem Ritual, welches im Sinne ökofeministischer Theorien den weiblichen Aspekt der Fürsorge und deren Übertragung in die Natur und Umwelt aufgreift.

 

Die immersive künstlerische Arbeit Treibhaus III von Claudia Starkloff reflektiert das Verhältnis und den Umgang des Menschen mit der Natur. Sie schafft ein Bewusstsein für die emotionale Entfernung zu unserem natürlichen Lebensraum und den Folgen, die dieser Zustand auf beiden Seiten auslöst. Sie lädt im Sinne Descartes dazu ein das künstlerische Werk praktisch zu erkunden, um neue Verbindungen aufzubauen und kollektiv zu verstehen.

 

Kuratiert von Manuela Hillmann

 

 

Claudia Starkloff (geb. 1987 in München) ist ausgebildete Holzbildhauerin und studierte von 2012 bis 2020 Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in München, zunächst bei Prof. Stefan Huber, ab 2018 bei Prof. Alexandra Bircken. Ihr Diplom machte sie 2020 mit der Arbeit Treibhaus I, der ersten von bislang drei Ausführungen eines bepflanzten Gewächshauses.

Die Künstlerin schöpft ihre Inspiration und ihre Themen direkt aus der Natur und ihrer eigenen Umgebung. 2020 zog sie von München auf einen Vierkanthof in Niederbayern, wo sie seitdem mit ihrer Familie lebt und künstlerisch tätig ist. An diesem Ort verwachsen das Anbauen, die Pflege, das Ernten und das Zubereiten eigener Lebensmittel, die Fürsorge für die Lebewesen auf dem Hof und die eigene Familie, sowie die künstlerische Praxis ineinander. Die Grenze zwischen künstlerischem Schaffen und alltäglichem Leben löst sich in einer Synergie auf und äußert sich im ehrlichen, unverfremdeten und unmittelbaren Werk der Künstlerin.

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